Ein spannender Beitrag unserer Geschäftsführerin Dilsâd Babayigit, die bei den diesjährigen Deutschen Biotechnologietagen in Berlin, ein Symposium zum Thema „Produktionsstandort Deutschland – Wie steht es um unsere Biotech-Kompetenz?“ moderiert hat.

Bei den diesjährigen Deutschen Biotechnologietagen (DBT) in Berlin spielte ageneo eine aktive Rolle; Frau Dilsâd Babayigit, Geschäftsführerin von ageneo, wurde eingeladen, das Symposium mit dem Thema „Produktionsstandort Deutschland – Wie steht es um unsere Biotech-Kompetenz?“ zu moderieren. Geladen waren als Referenten Herr Dr. Hermann Allgaier, Teva Biotech GmbH, Herr Dr. Marco Jenzsch, Roche Diagnostics GmbH, Herr Dr. Marc Sönnichsen, Sartorius Stedim Biotech sowie Prof. Dr. Roland Wagner, Rentschler Biotechnologie GmbH. Ungleich vieler weiterer spannender Sessions auf den DBT, die als Vortragsreihe gestaltet waren, wurde zum Thema „Produktionsstandort Deutschland“ offen und durchaus kontrovers diskutiert.

Aktuell steht Deutschland als Biotech-Produzent weltweit auf Rang 2; das Symposium stand folgerichtig unter der Leitfrage: „Wie kann Deutschland seine Kompetenz und Stellung als Produktionsstandort halten und ausbauen?“

 

Standort Deutschland – Wo ist „Produktion“ gewünscht? 

In diesem Zusammenhang wurde zunächst das Standortthema als solches diskutiert: Die Referenten sind allesamt Vertreter namhafter und führender Biopharma-Unternehmen, die an eher ländlichen Standorten wie Laupheim, Guxhagen, Ulm und Penzberg gelegen sind. Die Unternehmensrepräsentanten waren sich einig, dass eine große Schwierigkeit im Finden und Etablieren von Standorten besteht; allein Baugenehmigungen einzuholen für eine Industrie, die mit biotechnologischen Verfahren und Produkten arbeitet, sei eine Herausforderung in Deutschland, bei der die Politik gefragt sei. Großstädte, die eine Vielzahl von Menschen und potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Biotechunternehmen anziehen, erlauben kaum große (und bezahlbare!) Flächen für die produzierende Industrie; Innovations- und Entwicklungshubs sind zwar gerne gesehen, die „handfeste Produktion“ hat es da allerdings wesentlich schwerer.

Dennoch betonten die Referenten, allen voran Herr Dr. Hermann Allgaier von Teva Biotech, den Reiz und die vielen Vorteile ihrer Standorte: Neben noch bezahlbarem Wohnraum und einem hohen Lebensstandard, stellte er vor allem den Wissensvorsprung in Deutschland beim Thema Fach- und Führungskräfte heraus, der definitiv für den Standort Deutschland spräche.

Gerade Teva hat mit dem Genesis-Projekt erst jüngst ein fast 500 Milliarden schweres Investment am Standort Ulm angekündigt (und genehmigt), wobei sich Ulm gegenüber anderer globaler Standorte durchsetzen konnte. Neben der guten geographischen Lage im Herzen Europas, standen dabei die verfügbaren Fachkräfte und die gute Ausbildung in Deutschland auf der „Pro“-Seite des Standorts.

Besonders im Bereich der biotechnologischen Produktion sei es (noch) nicht möglich, die Standorte einfach in Niedriglohnländer zu transferieren; der technische und fachliche Anspruch sowie die Notwenigkeit einer entsprechenden Infrastruktur sprächen in der Biopharmazie nach wie vor für Standorte wie Deutschland.

Die Referenten von links nach rechts: Prof. Dr. Roland Wagner, Dr. Marco Jenzsch, Dr. Herrmann Allgaier, Dr. Marc Sönnichsen // Urheber S. Z. Kurc und Bernd Lammel

 

Fach- und Führungskräfte für die Biotechindustrie

Das Funktionieren jedweder Standorte ist nach Einschätzung der Referenten eng verzahnt mit den verfügbaren Fach- und Führungskräften sowie deren Qualifikationen und Ausbildung. Dabei wurde zwar das in Deutschland verfügbare Wissen als Asset gelobt, gleichzeitig jedoch die sehr generalistische Ausbildung und gerade der Bachelor-Ausbildungspfad kritisiert; durch die sehr oberflächliche Ausbildung wären gerade junge Arbeitskräfte beim Berufseinstieg nicht direkt „einsatzfähig“, sondern müssten noch lange ausgebildet und auf die Praxis vorbereitet werden.

Darüber hinaus würde es immer schwieriger, gelernte Kräfte zu bekommen: Eine handfeste Ausbildung gilt heute häufig nicht mehr als erstrebenswert. Alle Referenten sowie auch das Plenum in der Diskussion waren sich einig, dass dies weniger ein Branchenthema, denn vielmehr ein gesellschaftliches Thema ist. Die Politik hat viele Jahre lang Kampagnen für weiterbildende Schulen sowie die Hochschullaufbahn gefahren – mit Erfolg. Heute wird teilweise schon Grundschülern kommuniziert, dass nur das Gymnasium und ein folgendes Studium zukunftsfähig sei. Welch verheerende Konsequenz das für Ausbildungsberufe hat, zeigen die Statistiken offener Ausbildungsplätze und die Anzahl vakanter Stellen.

 

New Work und Produktion – ein Widerspruch?

In der Diskussion wurde auch das Thema New Work angesprochen. Gerade im Personalwesen spielt es schon seit Jahren eine große Rolle; die renommierten Unternehmensberatungen veröffentlichen Studien und versuchen herauszufinden, wie die Arbeitswelt von morgen aussieht und auch die Life-Sciences kann das Thema nicht kalt lassen, wenn man zukunftsfähig bleiben möchte.

Während einige Unternehmen Aspekte des New Work umsetzen – gerade durch entsprechende Arbeitslandschaften, flexible Arbeitszeiten und -plätze, sowie neue Arten und Wege der Zusammenarbeit (man denke nur an Remote Arbeitsplätze, „Führen auf Distanz“, internationale Teams etc.), fällt die Umsetzung im Bereich der Produktion schwerer. Der Schichtbetrieb muss laufen, die Produktion kann nur dort stattfinden, wo auch die nötigen Anlagen stehen; Home-Office, flexible Arbeitszeiten und Mobilität sind in der Produktion wesentlich schwieriger umzusetzen, als bei anderen Berufsfeldern.

Wenn man sich Neubauten betrachtet, die beispielsweise auf dem diesjährigen Pharmakongress präsentiert wurden, spürt man klar den Einzug des New Work in die Life-Science Industrien: Roche beispielsweise hat in Kaiseraugst einen Neubau errichtet, den man guten Gewissens als Vorzeigeprojekt des New Work bezeichnen kann: Offene Flächen, viel Raum für gemeinsames Arbeiten und Austausch, ausgeklügelte Licht- und Luftkonzepte, integrierte Parklandschaften für eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Leben, Cafés und Restaurants sowie mehrere Atriumbereiche und vieles mehr. Dennoch, die Umsetzung ist sehr kostspielig und wenn auch häufig Entwicklungszentren und Verwaltungsgebäude im Zeichen der Zeit stehen, wird die Produktion häufig weniger verändert. Was also tun?

Herr   Prof. Dr. Roland Wagner von Rentschler Biotech betonte dabei die Problematik der Mobilität: Während sie überall gefordert werde, v.a. auch von Arbeitgebern, könne man sie bei potenziellen MitarbeiterInnen häufig nur vermissen; da wird dann gesagt, man könne und wolle für einen Job nicht umziehen und gerade der „Umzug in eine kleinere Stadt“ sei eine fast unüberwindbare Hürde für junge Menschen und Familien.

Dieser Haltung kann man durchaus beipflichten: Universitätsstädte ziehen Studierende magnetisch an, häufig bleiben diese den Städten dann treu. Wenn man sich die Standortthematik nochmals vergegenwärtigt, zeigt sich das Dilemma für Produktionsstandorte deutlich: Produktion findet nach wie vor häufig in kleineren Städten oder ländlichen Regionen statt – selten in den Großstädten des Landes. Der Zuzug in die großen Städte reißt allerdings nicht ab, so dass die Themen Standort und Fach- und Führungskräfte weiterhin eng korrelieren.

Alles eine Imagefrage?

Die Referenten diskutierten gemeinsam neben den bereits genannten Themen auch die Imagefrage. Welches Image hat die Biotechnologie überhaupt? Wie mehrfach bei den DBT angeklungen, herrscht eine recht widersprüchliche Meinung zur Biotechnologie vor: Während die Bevölkerung beim Thema Biotechnologie in Lebensmitteln regelmäßig auf die Barrikaden geht, werden biotechnologische industrielle Produkte sehr positiv bewertet. Beim Thema Arzneimittel herrscht eher Unwissenheit und Unsicherheit vor; gleichzeitig habe das tendenziell negative Image der Pharmaindustrie auch auf die Biotechnologie eine Strahlkraft, wie Herr Dr. Marc Sönnichsen von Sartorius Biotech zu bedenken gab.

Neben der Imagefrage in Bezug auf die Branche, stand allerdings die Imagefrage in Bezug auf das Berufsfeld im Vordergrund: Ist „Produktion“ denn attraktiv? Eine rege Diskussion hierzu bildete den Abschluss des Symposiums: Obwohl Forschung und Entwicklung zunächst als attraktiver und „hipper“ angesehen wird, waren sich die Referenten einig, dass das Berufsfeld der Produktion genauso attraktiv sei: Produktion stehe für Verlässlichkeit, Produktivität, Effizienz und Technologieorientierung. Die Werte, die die Referenten mit „ihrem“ Berufsfeld verbanden, waren ein klares Plädoyer für die Produktion. Ableiten kann man hieraus sicherlich, dass das Berufsfeld Produktion schlicht zu wenig „beworben“ wird. Stets wird von F&E Hubs, Innovationszentren etc. gesprochen; diese erfahren eine starke Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Die Produktion bleibt im Hintergrund.

Unserer Auffassung nach bedarf es auch in der Produktion einiger Fürsprecher und einer klareren Botschaft: Produktion ist nicht nur notwendig, sondern zukunftsfähig und spannend zugleich.

Dilsâd Babayigit – CEO ageneo

Von links nach rechts: Prof. Dr. Roland Wagner, Dr. Herrmann Allgaier, Dr. Marc Sönnichsen, Dilsad Babayigit, Dr. Marco Jenzsch // Urheber S. Z. Kurc und Bernd Lammel