Die Lerche und die Eule

Der eine* fängt den Wurm früh, der andere lieber etwas später. Spricht man vom Biorhythmus eines Menschen, sind die Reaktionen oftmals verhalten, wenn nicht sogar ablehnend. Zu viele Missverständnisse und Halbwissen führen dazu, dass sich viele nicht näher mit dieser Thematik befassen (wollen).
Dabei ist in der Wissenschaft unumstritten, dass die Leistungsfähigkeit eines Menschen stark von der eigenen inneren Uhr abhängt und dass 
dieser Tatsache sowohl im Bildungssektor als auch in der Arbeitswelt zu wenig Beachtung geschenkt wird.
In Zeiten des 
Homeoffice mag es für manch einen mehr Spielräume geben, die eigene Arbeitszeit zeitlich flexibler zu gestalten, weshalb wir alles Wichtige, was Sie zum biologischen Rhythmus wissen müssen, hier zusammengetragen haben.

Vorab gilt es klar zu differenzieren zwischen dem Biorhythmus als Forschungsgegenstand der Chronobiologie und dem esoterischen Biorhythmusbegriff der Mantik, der im Bereich der Wahrsagerei o.Ä. zu verorten ist. Während sich die esoterische Auslegung auf bislang unbelegte Hypothesen stützt, sind Forschungen der Chronobiologie erst im Jahr 2017 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet worden. Hier konnten drei amerikanische Professoren nachweisen, dass die biologischen Uhren von Organismen mit mehreren Zellen nach einem Tag-Nacht-Rhythmus gesteuert werden, verursacht durch ein Protein, dass sich während der Nacht in unseren Zellen anhäuft und im Laufe des Tages wieder abnimmt. Dieser Mechanismus bestimmt die sogenannte 24-stündige circadiane Rhythmik und nimmt somit Einfluss auf unsere Schlaf-Wachphasen, aber zudem auch auf unsere Körpertemperatur, den Blutdruck, den Hormonspiegel, die Herzfrequenz und neben vielen weiteren Funktionen eben auch auf unsere kognitive Leistungsfähigkeit! 

Missachten wir also unsere eigene innere Uhr, so hat dies u.a. Konsequenzen auf unser Denk- und Leistungsverhalten.

Möchte man seine kognitiven Fähigkeiten möglichst optimal nutzen, reichen meist schon kleine Veränderungen im jeweiligen Lebensrhythmus aus, um große Wirkung zu erzeugen. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass oftmals ein verzögerter Tagesbeginn von nur einer Stunde zu einer höheren Arbeitskraft führt, weshalb auch heute noch in den Medien die Forderung nach einem späteren Schulunterrichtsbeginn diskutiert wird.  

Da allerdings in der Chronobiologie eine Differenzierung sogenannter „Chronotypen“ vorgenommen wird, sollte jeder für sich selbst nachforschen, welcher Schlaf-Wach-Rhythmus individuell passend ist. Zu den drei Haupt-Chronotypen gehören die bereits oben erwähnten Lerchen als Frühaufsteher, die Eulen als Nachtmenschen und der „Normaltyp“ als Mischform, der – wie der Name bereits sagt – am häufigsten in der Bevölkerung vertreten ist. Laut des Zentrums für Chronobiologie der LMU München liegen die Schlafphasen der letztgenannten Gruppe überwiegend zwischen 23.00 – 07.00 Uhr oder 00.00 – 08.00 Uhr.  

Die eigene Gruppenzugehörigkeit ist höchstwahrscheinlich genetisch bedingt, wobei auch die Marker Alter und Geschlecht eine Rolle spielen. Um zu bestimmen, zu welchem Typ man zählt, hat z.B. das Leibniz-Institut für Arbeitsforschung einen wissenschaftlichen Fragebogen online gestellt, der sich u.a. auch anonym ausfüllen lässt. 

Logischerweise spielt der biologische Rhythmus auch am Arbeitsplatz eine große Rolle, da auch hier die Leistungsfähigkeit im Tagesverlauf großen Schwankungen unterlegen ist.  

So empfiehlt das Fraunhofer Institut eine chronobiologische Arbeitsgestaltung, die über die Frage nach dem jeweiligen Schlafbedarf hinaus geht und zudem einen strukturierten Tagesablauf nach folgendem Muster vorschlägt:  

Tab. 1: Ablauf eines Arbeitstages aus chronobiologischer Sicht (nach Zulley/Knab 2000) , Quelle Fraunhofer Institut

Auch hier der Hinweis von Seiten des Fraunhofer Instituts, dass sich die in der Tabelle aufgeführten Zeiten je nach Chronotyp um ein bis zwei Stunden verschieben können und diese am Normaltyp orientierte Aufstellung lediglich als grobe Empfehlung zu verstehen ist.  

Dass ein derart durchorganisierter Arbeitsalltag durchaus Wirkung zeigt, haben bereits viele Unternehmen zumindest in Teilen erkannt. In diesem Zusammenhang ging z.B. bereits im Jahr 2000 die Stadtverwaltung Vechta neue Wege, deren Mitarbeiter im Rahmen eines Gesundheitsfürsorgeprogramms einen mittäglichen 20-minütigen Powernap zugesprochen bekamen. Anfangs wurde diese damals noch unkonventionelle Praxis belächelt, aber angesichts der positiven Effekte verstummte die öffentliche Häme nach kurzer Zeit. Denn verglichen mit anderen Kommunen fiel die Arbeitsproduktivität in Vechta deutlich höher aus und auch der Krankenstand lag klar unter dem landesweiten Durchschnittswert deutscher Kommunalverwaltungen! 

Inzwischen sind viele weitere Unternehmen zumindest in Punkto Mittagsschlaf auf den chronobiologischen Zug aufgesprungen, sodass große Konzerne wie beispielsweise Google, Nike oder Uber ihren Mitarbeitern Entspannungslandschaften und Schlafmöglichkeiten zur Verfügung stellen.  

Doch es muss nicht immer gleich der Schlaf sein, der dem eigenen biologischen Rhythmus unterstützend unter die Arme greift. Neben ausgewogener Ernährung und ausreichender Flüssigkeitszufuhr sind auch simple Pausen und Erholungsphasen bestens dazu geeignet, das eigene Leistungspensum optimal auszuschöpfen.

Denn das Wechselspiel von Schlafen und Wachen lässt sich auch auf den Rhythmus von Regeneration und Belastung übertragen. In diesem Kontext steht die sogenannte Basic Rest-Activity Circle (BRAC) – Hypothese von Nathaniel Kleitman, die aufgrund zahlreicher Studien begründeten Anlass zur Annahme gibt, dass die Kompetenzzyklen eines Menschen in ca. 2-Stunden-Blöcke aufgeteilt sind. Nach ca. 90 Minuten absoluter Leistungsfähigkeit folgt eine ca. 30-minütige Deaktivierungsphase, die sich durch Gähnen, Abwesenheit und Tagträume auszeichnet. Also der perfekte Zeitpunkt für eine gezielt gesetzte Pause.  

Sowohl Unternehmen als auch die dazugehörigen Mitarbeiter haben selbstverständlich ein hohes Interesse daran, das eigene Potenzial maximal auszuschöpfen und sich durch eine möglichst konstante Leistungsstärke auszuzeichnen. Aber beim Biorhythmus geht es nicht „nur“ um Produktivität und Effizienz:  

Kommt die innere Uhr aufgrund unseres Lebensstils […] dauerhaft aus dem Takt, steigt das Risiko für verschiedene Krankheiten. So werden unter anderem Zusammenhänge mit Brustkrebs, Herz-Kreislauf-Leiden und einer verminderten Fruchtbarkeit diskutiert. (Spiegel, 2017) 

Und da wir nicht erst seit jüngster Vergangenheit wissen, dass Gesundheit unser wichtigstes Gut ist, lohnt es sich vielleicht gerade in dieser außergewöhnlichen Zeit, zu Hause auszuprobieren, welcher Rhythmus besonders gut tut und welche Routinen einen nicht nur produktiver, sondern schlicht glücklicher und gesünder machen.   

  

Carolyn Klein – Marketing Associate

 

*Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei der Personenbezeichnung in diesem Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Die verkürzte Sprachform hat lediglich redaktionelle Gründe und beinhaltet keinerlei Wertung. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.