„Gib nicht auf!“ „Immer weiter und nach vorne!“

Durchhalten ist ohne Zweifel eine der wichtigsten Tugenden unserer Leistungsgesellschaft. Aber ist es wirklich immer sinnvoll an Zielen bis zum bitteren Ende festzuhalten und wann macht es Sinn, sie loszulassen, um neue Perspektiven zu entdecken und auszuloten?  

Kein Zweifel, ohne Durchhaltevermögen kann man im Leben nichts erreichen. Wir würden nicht laufen, nicht sprechen und an Fortschritte in Schule oder Arbeit wäre ebenfalls nicht zu denken. Also hinfallen, aufstehen! Mund abputzen und weiter! Nur die Harten kommen in den Garten!? 

Die Frage, ob diese Mentalität wirklich immer zum Erfolg führt, lässt sich nur mit Blick auf die zugrundeliegenden Ziele eines Jeden* beantworten. 

Denn manch ein Ziel ist es durchaus wert, aufgegeben zu werden!

Wann ist der richtige Zeitpunkt zum Aufgeben? 3 einfache Grundsatzfragen:

Wann genau der Zeitpunkt für ein Umdenken gegeben ist, ist natürlich sowohl situations- also auch personenabhängig. Steht man jedoch am Scheideweg und hat Angst vor vorschnellen Entscheidungen, helfen meist ganz simple Grundsatzfragen weiter, deren Inhalte zwar banal erscheinen mögen, aber vor deren ehrliche Beantwortung sich viele Menschen nur allzu gerne drücken. 

  1. Sind meine Ziele realistisch? 
  2. Ist der Aufwand angemessen, mit dem ich mein Ziel erreichen möchte? 
  3. Reichen meine Fähigkeiten aus, um das gewünschte Ziel zu erreichen? 

Derartige Fragen werden im Unternehmenskontext z.B. in jährlichen Mitarbeitergesprächen geprüft. Hier kann der Mitarbeiter mitteilen, ob er sich seinen Aufgaben gewachsen fühlt und seine Tätigkeit als motivierend und bereichernd erlebt. Leider deuten die ansteigenden Zahlen an Burnout –Vorfällen darauf hin, dass derartige Gespräche zu selten, zu oberflächlich oder schlicht zu unehrlich geführt werden. Wie Prof. Dr. Matthias Burisch in unserem Blogeintrag Burnout – Interview mit einem der anerkanntesten Burnout-Experten ausführte, gibt es verschiedene Wege in die Burnout-Falle. Das Ausharren, z.B. in einer überfordernden oder unangenehmen Situation, ist einer dieser Wege. 

Exzessive Persistenz, wie es Psychologen benennen, ist ein Zuviel an Durchhaltevermögen und kann zu Frust, vermindertem Selbstwertgefühl oder auch zu Depressionen/Burnout führen. 

Daher sollten sich auch die Führungsebenen unbedingt intensiver mit der Zielfrage jedes Mitarbeiters offen und ehrlich auseinandersetzen.  

Kontrolliertes Aufgeben – ein Weg zu großem Erfolg

Erfolgreiche Menschen wissen sowohl, wann man dranbleibt, als auch, wann man aufgibt.“ (Bernstein/Streep, 2015) 

Aufgeben wird gesellschaftlich zweifellos mit Schwäche assoziiert. Ersetzt man jedoch nur auf der Wortebene „Aufgeben“ mit dem Wort „Loslassen“, so sieht die Welt bereits ganz anders aus.  

Manchmal ist Aufgeben respektive Loslassen der eine notwendige Schritt, um ein neues innovatives Ziel anzugehen – neu zu beginnen.

„Entweder wir sind bei einem Produkt auf dem Weltmarkt die Nummer eins oder zwei, oder wir halten uns mit diesem Produkt nicht länger auf.“ (Jack Welch, ehemaliger CEO des US-Konzerns General Electric) 

Jack Welchs Grundsatz folgend schloss oder verkaufte General Electric alle Produktbereiche, deren Wachstums- und Renditeziele nicht erreicht wurden und die sich innerhalb von zwei Jahren nicht sanieren“ ließen. Das Unternehmen war zu Ende seiner Amtszeit der wertvollste börsennotierte Konzern der USA. 

Ein solches Vorgehen wird von dem Unternehmer und Autor Seth Godin als „strategisches Aufgeben“ bezeichnet. 

Wer seine Zeit und seine Energie ausschließlich in vielversprechende Ziele steckt, hat logischerweise die größten Chancen auf Erfolg.  

Die Tragweite dieses Vorgehens führt uns zurück zu der gemeinläufigen Meinung, dass Durchhalten das Mittel aller Dinge sei. Wenn wir sehen, welches Potenzial im richtigen Aufgeben steckt, sollte die Frage, OB wir aufgeben oder nicht in den Hintergrund rücken. Vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, WANN und aus welchen Gründen es Sinn macht, von gesteckten Zielen abzulassen 

Ob uns das Loslassen grundsätzlich leicht fällt oder nicht, dass entscheidet zu einem großen Teil natürlich auch die jeweilige persönliche Disposition. So lassen sich nach Bernstein/Streep (2015)  zwei unterschiedliche Handlungsmuster bei Menschen feststellen. 

  • Lageorientierter Charakter: Laufen die Dinge nicht so wie gewünscht, reagieren sie oftmals zögerlich, verfallen in Selbstzweifel und verharren in der Situation.  
  • Handlungsorientierte CharakterTrotz Rückschlägen bleiben sie nach vorne gerichtet und entscheidungsfreudig. 

Psychische und physische Folgen von exzessivem Durchhalten

Damit konform gehen die Ergebnisse einer Studie von Carsten Wrosch der Concordia University Montreal, die aufzeigt, dass Menschen, denen es leichtfällt sich von unrealistischen Zielen zu lösen, oftmals ein hohes psychisches Wohlbefinden aufweisenSie verspüren oft weniger Druck, weniger Nervosität und haben das Gefühl, ihr Leben unter Kontrolle zu haben. 

Sie lassen sich weniger von Gedankenmustern beherrschen, die sie in ihrem Handeln lähmen oder behindern. Enttäusche ich andere, wenn ich jetzt aufgebe? Habe ich nicht bereits zu viel Energie und Zeit in die Sache gesteckt, um jetzt davon abzulassen? 

Doch das Leben läuft nicht rückwärts, was zählt ist eine glückliche Zukunft! So reicht auch hier der sachliche Blick auf das Wesentliche, um sich von negativen Betrachtungsweisen zu befreien.   

Kontrolliertes Aufgeben hat allerdings nicht nur Auswirkungen auf unsere psychische Stabilität und verhindert u.a. Burnout oder andere Erschöpfungszustände.

Exzessives Durchhalten und seine körperlichen Auswirkungen

Dass wir durch falsches Durchhalten auch unsere physische Gesundheit aufs Spiel setzen, wird spätestens dann deutlich, wenn wir uns die Liste der körperlichen Warnsignale (zusammengetragen von dem Psychotherapeut Dr. Rolf Merkle) verinnerlichen:  

  • Schmerzen, ohne körperliche Ursache 
  • Schlafstörungen, sexuelle Unlust 
  • Anspannung und Erschöpfung 
  • Magen-Darm-Probleme, Herz-Kreislauf-Probleme, Diabetes 
  • Unruhe, Konzentrationsschwäche, Merkfähigkeitsprobleme 

Auch wenn hier ein Plädoyer für das kontrollierte Aufgeben verfasst wurde, soll dies natürlich nicht bedeuten, dass Unternehmer oder Mitarbeiter bei jedem kleinen Selbstzweifel oder bei Durstrecken sofort die Flinte ins Korn werfen sollten. Aber sobald der Arbeitsweg nur noch von einem chronischen Sich-Aufraffen bestimmt wird, ist es spätestens Zeit zum Umdenken!  

Denn wer unsinnig stur einfach nur an einem vorher festgesetzten Ziel festhält, verpasst Chancen und Möglichkeiten, die sich am Wegesrand geboten hätten. Nur wer loslassen kann, kann auch neu beginnen und sich selbst neue Perspektiven eröffnen.

 

Carolyn Klein – Marketing Associate

 

* Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei der Personenbezeichnung in diesem Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Die verkürzte Sprachform hat lediglich redaktionelle Gründe und beinhaltet keinerlei Wertung. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.